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Waffenschmuggel nach Syrien unter den Augen der Deutschen

Ein beträchtlicher Teil des Waffenschmuggels an die Aufständischen in Syrien vollzieht sich unter den Augen der deutschen Marine. Dies geht aus einer Vielzahl aktueller Berichte hervor. Demnach werden syrische Rebellenmilizen in großem Maßstab auf dem Seewege mit Kriegsmaterial versorgt; Hauptumschlagplatz ist die libanesische Hafenstadt Tripoli.

19. Juni 2012

Schiffe der deutschen Marine kontrollieren die libanesischen Küstengewässer im Rahmen der Vereinten Nationen (UNIFIL) - offiziell mit dem Ziel, Waffenschmuggel zu unterbinden. Die Einheiten, denen am gestrigen Montag der Berliner Verteidigungsminister einen Besuch abstattete, errichten zudem in Tripoli, einem Drehkreuz auch für salafistische Kämpfer vom Hindukusch, eine Radaranlage zur Küstenkontrolle.

Laut renommierten Journalisten haben die Waffenlieferungen an die Rebellen seit dem Waffenstillstand im April Rekordhöhe erreicht. Mit den Waffen kontrollieren die aufständischen Milizen mittlerweile ein umfassendes Gebiet in Syrien, das sie als Rückzugsort nutzen und in dem sie einen "Parallelstaat" unterhalten. Große Teile der innersyrischen Opposition lehnen die militärischen Operationen der oft islamistisch orientierten Aufständischen ab, da sie die Eskalation konfessioneller Gewalt fürchten. Das Massaker von Hula bekräftigt ihre Sorge.

Einsatzziel: Aufklärung

Der Berliner Verteidigungsminister hat am gestrigen Montag den deutschen Marinetruppen, die im Rahmen der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) vor der libanesischen Küste operieren, einen Besuch abgestattet. Derzeit sind dort zwei Schnellboote und ein Versorgungsschiff der Bundeswehr mit insgesamt 230 Soldaten im Einsatz. Zu ihren Aufgaben gehört neben der Ausbildung und der Ausstattung der libanesischen Marine die Unterbindung von Waffenschmuggel.

Ausdrücklich heißt es beim Bundesverteidigungsministerium, die deutschen Soldaten sorgten für "Aufklärung und Kontrolle der Seewege sowie die Umleitung von Schiffen im Verdachtsfall". [1] Zusätzlich sind deutsche Militärs laut Auskunft der Bundesregierung gegenwärtig mit dem Aufbau der achten von neun geplanten Küstenradarstationen beschäftigt; sie befindet sich in Tripoli. [2]

Am 6. Juni hat die Bundesregierung beschlossen, das Mandat für die deutschen UNIFIL-Einheiten um ein Jahr zu verlängern; unmittelbar danach hat Außenminister Guido Westerwelle die Kriegsschiffe besucht. In den nächsten Tagen soll nun der Deutsche Bundestag der Mandatsverlängerung in aller Form zustimmen. Ob das Flottendienstboot der Bundesmarine, ein Spionageschiff, das Ende 2011 in nationalem Auftrag vor der Küste Syriens kreuzte [3], dort noch im Einsatz ist, ist unbekannt. Es war während des Libyen-Krieges in geheimer Mission im Mittelmeer unterwegs.

Hauptumschlagplatz

Das Seegebiet, in dem die Bundesmarine zur Schmuggelverhinderung operiert und über das daher in Berlin exquisite Kenntnisse vorliegen müssen, gilt als eine der wichtigsten Nachschubrouten der bewaffneten syrischen Rebellen. Der Hafen von Tripoli, heißt es, sei der "Hauptumschlagplatz" für Waffen, die zu einem erheblichen Teil von Saudi-Arabien, Qatar und möglicherweise noch anderen arabischen Golfdiktaturen bezahlt würden.

Die Rüstungsgüter gelangten - "zumeist in Containern versteckt" - in den dortigen Hafen, wo sie umgeladen und über Land nach Syrien verbracht würden. [4] Die nächstgelegene syrische Großstadt ist Homs, eines der ersten Zentren bewaffneter Kämpfe. Ursprünglich sei dies "der wichtigste Weg des Waffenschmuggels" gewesen, wird berichtet; erst in jüngster Zeit habe "ein Korridor aus der türkischen Provinz Hatay nach Idlib" im Norden Syriens größere Bedeutung erlangt. [5]

Laut Militärfachleuten sind beispielsweise Waffen aus einem Depot, das Qatar bei der ostlibyschen Stadt Benghasi eingerichtet hat, via Tripoli nach Syrien transportiert worden. Im vorwiegend von Sunniten bewohnten Tripoli, in dem syrische Oppositionelle sehr stark präsent sind und aktive politische Strukturen unterhalten, sammeln sich außerdem mehrere hundert militante Salafisten, viele davon aus Afghanistan, Pakistan und Irak, um über die nahe Grenze nach Syrien einzusickern. [6]

Das Geschehen erinnert an die einstige Rolle der pakistanischen Grenzstadt Peshawar: Diese wurde in den 1980er Jahren ebenfalls von militanten Islamisten als Rückzugsort genutzt, um sich nach Überfällen in Afghanistan dem Zugriff der dortigen Streitkräfte zu entziehen.

Parallelstaat

Dass vom Westen protegierte Milizionäre sich trotz bestehenden Waffenembargos mit Kriegsgerät eindecken können, ist nicht neu: Dies geschah etwa in den jugoslawischen Zerfallskriegen, zuletzt im Libyen-Krieg. [7]

Dabei berichten Beobachter, dass die Aufrüstung der syrischen Aufständischen sich dramatisch beschleunigt. Diese hätten "die kurze Waffenruhe" ab dem 12. April nutzen können, "um sich neu zu organisieren und mit Waffen zu versorgen". Mittlerweile verfügten sie über Mörser, Sturm- und Maschinengewehre sowie Panzerabwehrraketen; seit Ende Mai seien damit mindestens zwei Dutzend syrische Panzer zerstört, seit Beginn des "Waffenstillstands" im April mehr als 1.000 syrische Soldaten getötet worden. [8]

Die Milizionäre operierten inzwischen auch innerhalb Syriens "aus einem vergleichsweise sicheren Rückzugsgebiet heraus" [9], berichtet der Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einer der renommiertesten Kenner der Region. Sie kontrollierten ein Gebiet "mit den Eckpunkten Idlib und Dschisr al Schughur im Norden sowie Salhab und Hama im Süden". Dort hätten sie mittlerweile "einen Parallelstaat eingerichtet, in dem sie Recht sprechen, Waffen verteilen und auch produzieren sowie ihre Operationen vorbereiten. Langsam weiten sie ihr Herrschaftsgebiet aus."

Opposition gegen Gewalt

In der syrischen Opposition ist dies alles höchst umstritten. Ursache ist die extrem sensible religiöse Situation in dem Land, dessen zahlreiche Glaubensminoritäten mehr als ein Viertel der Bevölkerung umfassen.

Die Konfessionalisierung der Gewalt, vor der Experten schon im Frühjahr 2011 warnten, ist inzwischen eingetreten; religiös motivierte Morde sind an der Tagesordnung. Man dürfe deshalb durch Religion inspirierten Kämpfern oder gar salafistischen Milizionären keinerlei Unterstützung gewähren, verlangt etwa das "National Coordination Committee for Democratic Change", ein in Damaskus angesiedelter Zusammenschluss von Oppositionsgruppen, der den bewaffneten Kampf gegen das Regime wegen der mit ihm verbundenen Gefahren strikt ablehnt - ganz wie auch jegliche westliche Intervention. [10] Die Lage im Irak und in Libyen könne als warnendes Exempel dienen, heißt es. Das vor Ort tätige "National Coordination Committee" beklagt, dass der Westen vor allem den im Exil ansässigen und in Syrien kaum verankerten "Syrian National Council" als Partner nutzt, um für sein Vorhaben, das Assad-Regime mit Gewalt zu stürzen, syrische Verbündete zu sammeln.

Anders als im "National Coordination Committee" besitzen islamistische Organisationen im "Syrian National Council" erheblichen Einfluss, insbesondere die ins Exil getriebene Muslimbruderschaft.

Medienmacht

Welche Dimension die religiös motivierte Gewalt bei den vom Westen unterstützten Milizionären bereits annimmt, zeigt das Massaker von Hula. Wie Berichte eines der renommiertesten deutschen Korrespondenten in der arabischen Welt zeigen, wurde es mit größter Wahrscheinlichkeit nicht von regierungsnahen Banden ("Shabiha"), sondern von sunnitischen Aufständischen begangen. Dabei wurden gezielt Familien aus religiösen Minderheiten mit ihren Kindern ermordet (german-foreign-policy.com berichtete [11]).

Selbst das saudische Regime fürchtet jetzt, in Syrien Krieg führende saudische Salafisten könnten dereinst heimkehren und sich gegen die Dynastie der Al Saud wenden - weil sie ihnen als kompromisslerisch gilt. Eine Fatwa aus Riad vom 7. Juni untersagt deshalb nun, den "Dschihad in Syrien" zu führen. [12] Einheimische Milizionäre sowie in Syrien kämpfende Salafisten aus anderen Ländern werden aber weiter von Saudi-Arabien und weiteren Golfdiktaturen unterstützt - mit Waffenlieferungen und der Medienmacht von Al Jazeera.

Der Sender aus Qatar hat der syrischen Opposition seit Beginn der Proteste unter die Arme gegriffen. Welcher Techniken er sich dabei bedient, das beschrieb unlängst eine Nonne aus der Ortschaft Qara südlich von Homs, die Augenzeugin von Greueltaten wurde. Sie beobachtete, wie Milizionäre "erst einen Händler, der sein Geschäft zu schließen sich geweigert hatte, durch eine Autobombe töteten und dann vor einer Kamera von Al Dschazira sagten, das Regime habe die Tat begangen". [13]

Als sich Außenminister Westerwelle kürzlich in Qatar aufhielt, stattete er Al Jazeera einen persönlichen Besuch ab und gab dem Sender ein exklusives Interview. [14]

Humanitäre Katastrophen

In Kenntnis der Lage und der Aufrüstung der Aufständischen rechnet Berlin offenkundig mit einer weiteren Bürgerkriegseskalation - und erklärt sich bereit, sie abzufedern. Die Kriegsschiffe vor der libanesischen Küste seien "sicher auch eine Art Notreserve für humanitäre Katastrophen, die in der Region stattfinden könnten", erklärte Verteidigungsminister Thomas de Maizière am gestrigen Montag anlässlich seines Besuchs bei der deutschen UNIFIL-Einheit. [15]

Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Syrien-Politik finden Sie hier: Kriegsdrohungen gegen Syrien, Irans Achillesferse, Kriegsszenarien für Syrien, Kriegsszenarien für Syrien (II), Mit der UNO zur Eskalation, Marktwirtschaft für Syrien und Die jemenitische Lösung.

german-foreign-policy.com , 19. Juni 2012.



[1UNIFIL; www.bmvg.de

[2Deutscher Bundestag, Drucksache 17/9873, 06.06.2012

[3s. dazu Spionageschiff

[4Keine Waffenruhe in Sicht; www.fr-online.de 14.06.2012

[5Waffen für die Freunde in Syrien; Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.06.2012

[6La Syrie, nouvelle terre d’élection des djihadistes; Le Figaro 23.05.2012

[7s. dazu Die Libyen-Strategie

[8Waffen für die Freunde in Syrien; Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.06.2012

[9Unter Beschuss aus der Luft; Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.06.2012

[10L’autre opposition; Jeune Afrique No. 2683, 10.06.2012

[12Waffen für die Freunde in Syrien; Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.06.2012

[13Eine Auslöschung; Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.06.2012

[15Ist ein humanitärer Einsatz der Bundeswehr denkbar? www.abendblatt.de 18.06.2012